Kazaviti im Wandel der Zeit.
Das Ende der traditionellen Dorfstruktur
Im Jahr 1973, das Aufnahmejahr des Titelbildes, ist Kazaviti noch fast vollständig original erhalten. Die Kafenia Veginas und Liberis haben noch geöffnet und die gewachsenen, dörflichen Strukturen existieren noch in Teilen. Zu der damaligen Zeit gibt es noch keine geteerte Straße und keinen Strom. Viele Gärten im Dorf werden noch bewirtschaftet und es gibt noch Esel, Ziegen und Schafe. Viele, vor allem ältere Bewohner, kehren im Sommer in ihre Familiensitze zurück. Einige wenige Familien leben noch fest in Kazaviti. Die meisten haben zusätzlich eine Wohnung oder ein Haus in Prinos. Hier verbringen sie die Wintermonate. Die meisten Familien sind zu dieser Zeit bereits fest nach Prinos, die großen Städte oder ins Ausland gezogen. 1978 wird das Dorf Kazaviti als „historische Siedlung“ unter Schutz gestellt. Das bedeutet, es dürfen nur neue Bauten im historischen Stil errichtet werden. Ausländer dürfen auf Grund der strategischen Nähe von Thassos zur Türkei offiziell keine Grundstücke erwerben. Dieses Gesetz fällt erst im Zuge der rechtlichen Anpassungen an die EU Gesetze.
Kazaviti wurde auch früher im Winter größtenteils verlassen. Die meisten alten Häuser sind für die teilweise sehr harten Winter nicht ausgelegt. Viele Familien zogen in einem großen Tross zur Olivenernte an die Küste. Im Frühjahr zog man dann mit der Ernte wieder zurück. In der großen Schlucht von Kazaviti lagen die Ölmühlen. Der Bach führte zu dieser Jahreszeit reichlich Wasser. Das Bewässerungssystem der landwirtschaftlichen Terrassen war in den 1970er Jahren bereits zerstört, die Flächen lagen brach und es bildeten sich kleine Biotope. Die gesamten landwirtschaftlichen Flächen wurden nie mit chemischem Dünger, Insektiziden und großen Maschinen bearbeitet.
Viele, zumeist kleine Häuser sind bereits in den 1950er und 1960er Jahren verlassen worden. Von Ihnen stehen bereits in den 1970er Jahren teilweise nur noch Ruinen. Das Leben in früheren Zeiten muss sehr hart gewesen sein. In den kleinen Häusern lebte manchmal eine ganze Familie in einem Zimmer. Unten war der Stall für die Tiere. In vielen der alten Häuser wurde die gesamte Familiengeschichte zurückgelassen. Die Tür wurde geschlossen und die alten Fotos und Briefe blieben mit dem restlichen Hausrat zurück. Ende der 1970er Jahre war der Prozess der Entfremdung von der eigenen, jüngeren Geschichte in Kazaviti vollzogen. Viele der Häuser fallen per Erbe einer neuen Generation zu. Diese hat mit dem alten Griechenland zumeist gebrochen und lebt in der vermeintlich schönen Welt des neuen EU Griechenlands.
Die Übergangsjahre
In den 1980er Jahre ist der große Ort Kazaviti fast vollständig verlassen, der kleinere Ort Mikro Kazaviti nicht. Anders als die meisten anderen Ortschaften auf Thassos entwickelt sich das Dorf nicht weiter sondern verfällt. Wer es sich leisten kann, hat das Dach des Elternhauses mit Ziegeln gedeckt. Dadurch sind bis heute viele der Gebäude erhalten geblieben. Das Wasser ist, neben dem Menschen, der größte Feind der alten Häuser. Es kursieren sehr dumme Geschichten darüber, wie man alte Häuser erhalten muss. Durch die Bauweise aus Stein, Lehm und Holz sind die Häuser extrem empfindlich gegen Wasser das von OBEN eindringt.
Durch seine topographisch schwierige Lage sind einige Ortsteile nicht mit dem Auto befahrbar. Die starke Hanglage verhindert an vielen Stellen den Bau neuer Häuser, die Bequemlichkeiten der neuen Zeit sind hier nicht anwendbar. In den leicht zugänglichen Teilen werden viele neue, dem damaligen Zeitgeist entsprechende, Häuser gebaut. Der Schutzstatus wird weitestgehend ignoriert.
Über einen langen Zeitraum ist Kazaviti eine Art rechtsfreier Raum auf Thassos. Da hier fast niemand wohnt, finden einige Außenseiter Unterschlupf. Die Kontrollen sind lax, da es schlichtweg niemanden interessiert was hier passiert. Die Dinge werden untereinander geregelt. Viel Platz und wenig Kontrolle. Nach den politischen Veränderungen in Albanien, Anfang der 1990er Jahre fanden einige illegale Einwanderer in den leerstehenden Häusern Unterschlupf. Sie arbeiteten auf dem Bau und der Olivenernte. Es kam immer wieder zu brutalen Räumungsaktionen, die zeitlich den Arbeitgebern in die Hände spielten, etwa nach der Olivenernte. Einige dieser frühen Einwanderer leben noch heute legal in Prinos. Ohne die Albaner wären viele Teile der Wirtschaft auf Thassos nicht mehr funktionsfähig.
Die neue Zeit
In den 2000er Jahren ändert sich die Struktur des Ortes langsam hin zu einem Ferienort und beliebten Ausflugsziel. Die gesamte Wasserversorgung des Ortes wird neu aufgebaut. Einige junge Familien ziehen wieder in die alten Häuser zurück. Durch den technischen Wandel kann man die Gebäude winterfest umbauen. Eine dörfliche Struktur bildet sich jedoch nicht wieder zurück. Zu wenig Häuser sind dauerhaft bewohnt. Mehr und mehr Häuser werden als reine Ferienhäuser für den Sommer genutzt. Dadurch ändert sich das Aussehen des Ortes. Um die früher bewirtschafteten Gärten pflegeleicht und sauber zu gestalten, werden großflächig Steinplatten in Beton verlegt. Andere Teile des Dorfes werden langsam von der sehr üppigen Vegetation geschluckt. Die Früchte der vielen lokalen Obstbaumsorten fallen ungeerntet zu Boden. Ein Paradies für Siebenschläfer und diverse Insekten. In den leer stehenden Häusern leben viele Fledermäuse und Katzen.
Nach dem der Dorfplatz, die Platia, gepflastert wird, expandieren die beiden ehemaligen Kafenia, nun zu Restaurants umgebaut, langsam über den ganzen Dorfplatz. Es werden einige neue Häuser gebaut und alte Häuser werden modernisiert. Dabei werden viele der alten Häuser bis zur Unkenntlichkeit mit Beton „glatt gebügelt“ und entkernt. Viele hunderttausende Euro werden aus dem EU Strukturfont Leader+ in das Dorf gepumpt. Der Hauptweg, nun „historischer Rundweg“ genannt, wird neu verlegt. Einige alte Häuser werden abgerissen oder baulich komplett verändert. Es wird viel mit EU Geldern zerstört. Profitieren tun nicht immer die Empfänger der Zuschüsse.
Reise in die Zukunft
Kazaviti hat bis jetzt die größte Dichte an originalen, traditionellen Häusern auf Thassos. Viele von ihnen sind sehr stark gefährdet. Durch den Waldbrand am 10. September 2016 wurde ein ganzer Dorfteil, Simenitika genannt, mit originalen Häusern und einem Metochi (Klostergut) des Klosters Esfigmenou auf dem heiligen Berg Athos zerstört. Am unteren Dorfrand verbrannten 3 weitere alte Gebäude. Die Entwicklung in Bezug auf die noch vorhandene alten Gebäude und der Umgang mit ihnen ist nicht sehr schön. Der potentielle Mehrwert für das Dorf wird nicht wahrgenommen. Alle privaten Vermieter von Ferienhäusern in Kazaviti werben mit dem Wort „traditionell“. In den meisten Fällen handelt es sich um Neubauten. Der tatsächliche Mehrwert von Immobilien durch die Lage in einem traditionellen Dorf sinkt von Jahr zu Jahr. Der Verfall und die Zerstörung schreiten schnell voran. Die derzeitige Entwicklung auf Thassos hin zu einem billigen Massentourismus mit Betonburgen ist nicht minder besorgniserregend. Sehr viel wird derzeit von ein paar kurzfristig denkenden Menschen für immer zerstört. Ein nachhaltiger Tourismus mit einer Chance für zukünftige Generationen wäre möglich. Leider steht gerade in der jetzigen Krise das schnelle Geld im Vordergrund. Fraglich ist jedoch bei wem das Geld landet. Sicherlich nur zu einem sehr kleinen Teil bei den Einheimischen.
Einige alte Häuser wurden in den letzten Jahren schön renoviert und modernisiert. Das Steindach verdrängt immer mehr das Ziegeldach. Das Hauptproblem sind die enormen Kosten, die bei der Sanierung alter Häuser anfallen. Wenn nicht ein Wunder geschieht, werden noch viele alte Gebäude einstürzen. Für Ruhesuchende ist die geringe Anzahl dauerhafter Bewohner von Vorteil. Abgesehen von der Hauptsaison im Sommer ist Kazaviti ein Paradies für Naturfreunde, Wanderer und Flüchtlinge des Dauerhypes.
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